Der dunkelhäutige Mann in der dritten
Sitzreihe rechts schrak auf. Er hatte wohl längere Zeit tief und
fest geschlafen und unter Umständen dabei sogar geträumt. Im
Augenblick seines Aufschreckens jedenfalls befand sich der Sternbus,
in dem er in der dritten Sitzreihe rechts saß, auf der Mebo, einer
Schnellstraße, in Richtung Meran.
"Milano?" krächzte er
fragend in leicht panischem Ton.
Zwei Reihen vor ihm saß eine etwas
festere Frau, neben ihr ihre Tochter. Besagte Dame hatte auf der
gesamten Fahrt von München nach Bozen mit dem offenbar
österreichischen Fahrer Weisheiten ausgetauscht, gnadenlos, eine
nach der anderen. Und die Fahrgäste, die in der vorderen Bushälfte
saßen, waren gewollt oder ungewollt Zuhörer der oben erwähnten
Gespräche geworden.
Der ebenfalls massige österreichische
Busfahrer war in Bozen ausgestiegen und hatte an einen anderen Fahrer
übergeben und denselben während der Übergabe mit einem sagenhaften
Redeschwall übergossen. Der neue Fahrer dürfte davon herzlich wenig
mitbekommen haben- er war, wie sich bald herausstellen sollte, im
Deutschen nicht über die Maßen bewandert.
Wir wollen nicht abschweifen!
"Milano!?" hatte unser dunkelhäutiger Mann, soeben dem
Reich der Träume entwichen, verunsichert gerufen, ja beinahe
geseufzt.
Die Antwort kam natürlich von der
wohlbeleibten Frau mit der ausgeprägten sozialen Ader: "Sì, noi
andare a Merano." Die Sache schien geritzt, war es aber nicht.
In der ersten Sitzreihe links saß ein
Herr mittleren Alters, der in Innsbruck zugestiegen war und sich
dabei eines eleganten Hutes entledigt hatte. Gestehen wir es,
selbiger Herr arbeitet als Friseur im Schlanderser Krankenhaus. Genau
selbiger Friseur wurde vom "Sì, noi andare a Merano." auf
den Plan gerufen. "Ma non ha detto Milano?"
Unsere mollige Frau war verdutzt- und
wenn der dunkelhäutige Mann wirklich Milano gesagt hatte? Da musste man unverzüglich nachsetzen:
"Tu andare a Merano o Milano?" Sie war ziemlich aufgeregt,
auch ihre Tochter hatte sich bereits nach hinten gedreht und starrte
den dunkelhäutigen Mann unverwandt an. Meine Güte, die Fahrt wurde
jetzt richtig aufregend! Und noch dazu befand sich Mama mitten drin
im Geschehen.
Unser Frager war zwar noch etwas schläfrig,
wiederholte sein Milano aber dermaßen deutlich, dass der
Friseur und auch die korpulente Frau, die wir Amalia nennen wollen,
keinen Zweifel mehr hatten.
Der Fahrer hingegen bekam von der
aufregenden Angelegenheit vorläufig noch nichts mit. Die Hände
hatte er zwar am Lenkrad und die Augen und damit den Blick auf die
Mebo gerichtet, in Gedanken aber kippte er gerade ein Schnäpschen in
irgendeiner Bar in irgendeinem Dorf in seinem Heimatland Tschechien.
Der Friseur war zweifelsfrei der
cleverste aller Beteiligten. Das hätte man bereits an seinem
eleganten Hut, den er beim Einsteigen in Innsbruck, wie gesagt,
abgelegt hatte, erkennen können. Mehrmals erklärte er, dass der
österreichische Fahrer vor der Ankunft in Bozen, ebenfalls mehrmals,
durchgegeben hatte, dass die Fahrgäste mit Ziel Rom oder Mailand
umsteigen mussten.
Unser dunkelhäutiger Mann hatte
allerdings tief und fest geschlafen und von der Durchsage des Fahrers
nichts mitbekommen. Aber selbst wenn er wach gewesen wäre, hätte er
letztere wahrscheinlich nicht verstanden. Es war, wie es war- er
hatte ein Ticket nach Milano und saß im Bus nach Merano. Mehr noch
sogar: er hatte nicht nur ein Ticket nach Milano, sondern er musste
auch nach Milano. Den Umstieg hatte er verpasst und verpennt und
jetzt saß er im Bus nach Merano, mit Amalia mit Tochter und dem
Friseur zwei Reihen vor sich und dem tschechischen Fahrer hinter dem
Lenkrad.
Dem Friseur dämmerte, dass
allerhöchste Eile geboten war. Ahmed, wie wir unseren
Sternbus-Reisenden mit Ziel Milano nennen wollen, musste unverzüglich
zurück nach Bozen, Meran war die komplett falsche Richtung. Es ist
nicht auszuschließen, dass der Friseur Enrico hieß. Enrico also beschloss kurzerhand, den Fahrer in die missliche Lage des Fahrgastes
mit einzubeziehen, umriss kurz und prägnant die Sachlage und bat den
Fahrer, Ahmed vor dem Bahnhof Lana-Burgstall abzuladen, damit er
unverzüglich mit dem nächsten Zug nach Bozen fahren könne. Der
Sternbus war mittlerweile nämlich auf dem Weg von der Haltestelle
Lana zurück auf die Mebo. Das Problem schien gelöst, der Fahrer
hatte aufmerksam zugehört und nickte verständnisvoll.
Der Fortgang der Handlung allerdings verlief entgegen Enricos weitblickendem Plan. Anstatt Ahmed aussteigen zu lassen, kehrte der Sternbus schnurstracks auf die Mebo zurück- verständnisvolles Nicken des Fahrers hin oder her.
Der Fortgang der Handlung allerdings verlief entgegen Enricos weitblickendem Plan. Anstatt Ahmed aussteigen zu lassen, kehrte der Sternbus schnurstracks auf die Mebo zurück- verständnisvolles Nicken des Fahrers hin oder her.
"Porca miseria, perchè non lo ha
fatto scendere?" fragte sich Enrico, sagte aber nichts. Die
Lage, die so einfach schien, wurde schön langsam verzwickt und
unübersichtlich.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen